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Meine Großeltern… und was wir aus Ihren Biographien lernen können.

Die Zeiten sind ungewöhnlich. Absolut nichts hat uns auf die aktuelle Situation vorbereitet. Ich schwanke zwischen, Sorge, Angst, Hoffnung und Packen-wir`s-an…

Aber sind wir mal ehrlich. Ich bin 1973 geboren. In meinem ganzen Leben gab es noch nie wirklich Armut, Hunger und ernsthafte Not. Meine Generation und auch die nachfolgenden kennen hier in diesem Land keine knurrenden Mägen und kalte, ungeheizte Räume.

Anders sah das bei der Kriegs- und Nachkriegsgeneration aus. Das waren sicher sehr, sehr prägende Erfahrungen. Komplette Generationen, traumatisiert und ohne Möglichkeit der psychologischen Betreuung. Aus heutiger Sicht unvorstellbar.

Manche konnten über Ihre Erlebnisse reden, Viele haben das nie geschafft. Ich merke immer mehr, daß meine Kindheit, die ich bei meinen Großeltern verbracht habe, anders war, als die Kindheiten meiner Generation. Es ist so spannend, älter zu werden. Ich habe das Gefühl, je älter ich werde, desto besser lerne ich mich kennen. Wie Puzzle-Stücke fügt sich so Einiges zusammen und ich verstehe… Ich weiß nicht, wer den Satz gesagt hat, aber es ist so wahr:

“Man kann das Leben nur vorwärts leben, aber man kann es nur im Rückblick verstehen.”

Ich habe meine Kindheit bei meinen Großeltern verbracht. Ich bin von dort aus auch in den Kindergarten und zur Grundschule gegangen. Ich war den ganzen Tag dort, meine Mutter war in einem sehr anspruchsvollen Job, der nicht in einer 40-Stunden-Woche erledigt war und sehr oft habe ich auch bei meinen Großeltern übernachtet.

Deshalb bin ich vielleicht mehr von dem Denken und Handeln der Kriegsgeneration geprägt, als andere Kinder der 70er.

Meine Oma, geboren 1921, kam aus sehr einfachen Verhältnissen. Sie durfte die Schule nicht allzu lange besuchen und mußte mit 14 Jahren arbeiten. Wenn man sich das heute vorstellt… Mein Opa, Baujahr 1917, war ein Metzgerssohn und hatte viele Geschwister. Die mußten alle früh mithelfen und es war sicher körperlich sehr harte Arbeit.

Wie muß das gewesen sein, 1917, noch mitten im Krieg ein Kind zu bekommen? Da war vermutlich nicht viel von ätherischen Ölen, Entspannungsmusik und orthopädischen Lagerungskissen zu sehen. Nicht falsch verstehen, wie gut, daß wir das heute haben.. ich versuche mich nur, in die Zeit und die Umstände hineinzuversetzen.

1929 Weltwirtschaftskrise, 1939 der Krieg… wie muß das gewesen sein? Meine Oma war 18 bei Kriegsausbruch, ich habe heute eine Tochter in dem Alter… dieser Unterschied in den Biographien. Meine Großeltern waren frisch verliebt und mein Opa mußte an die Front… wie haben die das geschafft? Meine Güte, wieviel Sorge, Traurigkeit und Angst muß da gewesen sein. Unvorstellbar.

Beide haben immer wieder aus dieser Zeit erzählt. Nicht oft, aber ich habe es mir  gemerkt. Mag auch sein, daß meine Erinnerung nicht historisch korrekt ist, unser Gehirn füllt manchmal die Lücken von selbst auf, oder man meint, zwischen den Zeilen etwas gehört zu haben. Das hier ist die Geschichte, wie ich sie im Kopf habe… es ist ja jetzt auch schon bald 40 Jahre her.

Mein Opa war so ein verschmitzter, zäher, drahtiger Typ. Er spielte gerne Binokel und Gaigel und wir haben meine ganze Grundschulzeit jeden Nachmittag Karten gespielt. Er hat immer gerne im Garten gearbeitet und an seiner Werkbank in der Garage. Er hat mit mir Schneemänner gebaut, und die Ohren waren die Becher aus dem Waschmittelpaket.

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Wir haben zusammen Kirschen geerntet und aus den Kernen kleine Bäumchen gezogen, Marmelade gekocht, Radieschen gesät und geerntet. Wir haben ein sehr schiefes Vogelhäuschen gebaut und eine kleine Werkzeugkiste für mich. Er hat mich in den Ferien jeden Morgen zum Einkaufen in den Tante-Emma-Laden im Ort geschickt, bei uns hieß das “Zum Essig” gehen. Der Inhaber hieß Herr Essig, deshalb. Die Einkaufsliste war klar, eine Bild-Zeitung und eine Packung HB-Zigaretten. Tja, so war das, damals durften 8-Jährige Zigaretten kaufen. Herr Essig hatte viele bunte Plastikbehälter mit Süßkramgummigedöns für ein paar Pfennige, und ich durfte mir jeden Tag ein Gummidings vom Wechselgeld kaufen. Manchmal war ich auch richtig reich, wir haben nämlich immer um Pfennige Karten gespielt. Das würde heute so auch keiner mehr machen… es war eine andere Zeit.

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Mein Opa hat auch mal im Krieg eine Demo angezettelt, weil es für die Soldaten keinen Kaffee gab. Er hatte ein Plakat gemalt, “Ohne Kaffee kein Kampf”. Das hat er immer erzählt. Ich glaube, es war sein größtes Glück, in seinem Garten zu sitzen, eine Tasse Kaffee trinken zu können, wann er wollte und mit mir zu karteln. Seine Zeitung, eine Zigarette, ein Schwätzchen über den Gartenzaun mit den Nachbarn, ein bißchen Herumpusseln an der Werkbank. Da war er ganz zufrieden mit seinem Leben. Es ging nie darum, das größere Auto zu fahren, oder teure Anzüge, große Reisen oder Status. Er war zufrieden. Und das ist das Vermächtnis meiner Großeltern…Zufriedenheit mit den kleinen Dingen, die eigentlich die ganz großen Dinge sind.

Nach dem Krieg hat mein Opa seinen Meister gemacht. Den Bäcker- und den Konditormeister. Beim Lernen für seine Prüfungen hat er nachts ganze Kaffeebohnen gekaut um wach zu bleiben, und mit dem Fuß hat er die Wiege mit dem Baby darin geschuckelt. Gemeinsam haben die beiden unglaublich hart gearbeitet, um sich eine Existenz aus dem Nichts aufzubauen. Nachts in der Backstube, Tags im Laden stehen… mein lieber Scholly, wie muß das gewesen sein. Das war das Ziel, der Familienname über der Ladentür. Ein Geschäft. Eine respektierte, solide Existenz in der Gemeinschaft des Ortes. Das war wichtig.

Meine Großeltern sind Schwaben und Protestanten. Sie hatten eine unglaubliche Arbeitsmoral und als Unternehmer Verantwortungsbewusstsein und Ethik. Es steckte Ehre in den Produkten, Handwerkskunst, Wissen und viel Verantwortung. Die Generation meines Vaters stieg in das Geschäft ein und führte es weiter, bis in die Siebziger hinein, als meine Großeltern sich zur Ruhe setzten.

Was ist dagegen so ein Fabrik-Discounter-Brötchen? Purer Mist.

Sie haben mir nie gesagt, wie man ein Geschäft führt. Sie haben nur erzählt, wie sie es gemacht haben. Und es erschien mir so klar, daß es nur so geht. Es geht  natürlich auch ums Geld-Verdienen, aber für den Lebensunterhalt, es ging nie um das schnelle, dicke Geld.

Die Gier, dieses elende Immer-mehr-immer-billiger… das ist die Problematik unserer Zeit. Das zerstört die Umwelt, und beispielsweise Existenzen von Landwirten, die zu diesen Preisen nicht überleben können. Es zerstört aber auch die Qualität unserer Lebensmittel, und unsere Kultur-Landschaft. Geiz ist einfach völlig ungeil.

Eine Freundin von mir hat in diesen Tagen die alte mechanische Mühle ihres Opas aus der Scheune geholt und wieder angeschmissen. Das finde ich richtig gut, auch wenn der Anlass traurig ist.

Plötzlich sind auch Näh-Kenntnisse gefragt wie nie… wir befinden uns in einer ganz neuen Situation und wir gehen neue/alte Wege.

Meine Großeltern hatten auch nie so dieses Frau-gehört-an-den-Herd-Ding laufen. Mein Opa hat immer genau so oft wie die Oma gekocht und gebacken. Die beiden haben gemeinsam im Garten geschafft und früher in der Bäckerei… da gab es keine Unterschiede, ich habe das nie wahrgenommen.

Wenn ich Kurse leite und abends heimkomme, kocht mein Mann immer für mich. Ich freue mich sehr darüber, aber ich koche hier jeden Tag das Mittagessen. Das nennt man dann wohl Arbeitsteilung  Dieses komische Ding aus den 50ern haben meine Großeltern auch nicht gelebt. Und das ist verdammt gut so.

Im Krieg war mein Opa im Lazarett in Straßburg. Meine Oma hat sich in Stuttgart auf ein altes Fahrrad gesetzt und ist zu ihm gefahren. Sie hat immer erzählt, wie sie das Fahrrad in den Straßengraben geschmissen hat, wenn sie die Bomber gehört hat, und sie sich flach an den Boden drücken mußte.

Im Nachbarbett meines Opas lag ein Kamerad, der war Maler. Er malte meine Oma von hinten, so wie er sie von seinem Krankenbett aus sehen konnte. Das Bild hängt bei meinem Vater, ich habe mir mein Eigenes genäht. Ich kann besser mit Nadel und Faden malen, als mit dem Pinsel.

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Meine Oma hatte immer Zeit für mich. Wenn ich von der Schule heimkam, stand sie immer am Küchenfenster und guckte. Dann winkte sie. Ich bekam immer die erste Erdbeere des Jahres und das Herzchen vom Salat. Trotzdem hat sie mich nie verwöhnt… aber es war klar, wir sind ein gutes Team. Sie hatte ein orangenes Nähkästchen und eine Schublade mit Stoffresten und Wollknäueln. Wir haben immer zusammen gehäkelt, gestrickt, genäht, gebacken oder Mensch-ärgere-Dich-nicht gespielt. Wenn ich irgendetwas nicht hingekriegt habe und aufgeben wollte, wenn alle Fäden in der Hand gemacht haben, was sie wollten oder die Hausaufgabe zu schwierig war… da hat die Oma Lina gesagt, und ich höre es  genau: ” Wenn die Anderen das hinkriegen, dann kannst Du es ja wohl auch. Stell`Dich nicht so an.” Jawollja.

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Meine Großeltern hätten sich niemals im Baumarkt ein Frühbeet gekauft. Sie haben sich aus alten Fenstern und Holz so etwas selbst gebaut.

Ich glaube einfach, die beiden hatten so harte Zeiten hinter sich, daß sie ganz einfach glücklich waren, auf Ihrem kleinen Stückchen Zuhause vor sich hinwurschteln zu können.

Meine Eltern haben jahrelang in diesem Geschäft bis zur Schließung mitgearbeitet. Ich verstehe erst heute, wie viel die Generationen vor mir geleistet haben. Und Ihre Werte sind heute noch genau so gültig.

Ich habe es nie verstanden, warum ein Studium mehr wert sein soll, als eine Ausbildung als Handwerker. Wir brauchen Alle. Die Landwirte, die Krankenpfleger, die NäherInnen, die Ärztinnen, die BäckerInnen, die KassiererInnen… Und Keine/r hat auf die Anderen runterzuschauen.

Ich habe in den letzten Tagen viel mit meinem Vater telefoniert. Und dabei habe ich gesagt, daß es interessant ist zu sehen, welche Berufe und Fähigkeiten plötzlich gefragt sind.

Und mein kluger Papa meinte: ” Diese Fähigkeiten und Berufe waren immer wichtig. Das haben nur Viele nicht gesehen.”

Seit Jahren schreibe ich darüber, wie wichtig ich es finde, daß es kleine Geschäfte gibt. Daß hochwertige Lebensmittel wichtig sind. Daß es wichtig ist, daß wir nähen können. Das hilft jetzt so ungemein. Zum Einen um den Geist und die Hände beschäftigt zu halten und Ablenkung zu finden, zum Anderen ganz praktisch, beim Nähen von diesen Mund-Nase-Dingern.

Und Ihr alle seid diejenigen, die das auch so sehen. Hier lesen, bei uns im Laden Kurse besuchen, Stoffe kaufen undundund. Ich bin so froh, daß ich Euch habe.

Ein Hoch auf Dich! Ohne Dich gäbe es das Nähzimmer nicht. Danke dafür. Von ganzem Herzen.

Bleib gesund und paß gut auf Dich auf.

Alles Liebe, Dunja

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